WN Artikel zur Arbeit der Opferhilfe

Psychosoziale Prozessbegleiter helfen Betroffenen

Im Büro von Heike Clephas steht ein Modell, das anschaulich zeigt, wie es im Gericht aussieht. Da sitzen ernst blickende Menschen auf der Richterbank, ein Gerichtsschreiber tippt an seinem Laptop, Anwälte sitzen gegenüber, hinten verfolgen Zuschauer das Geschehen – und mittendrin sitzt ein Zeuge und soll über eine Gewalttat berichten. Kein Wunder, dass manchen da im Vorfeld die Panik packt. Immerhin ist das Opfer da nicht alleine: Neben ihm sitzen ein Anwalt – und die psychosoziale Prozessbegleitung. Seit Jahresbeginn gibt’s ein Recht darauf – Heike Clephas erweckt die Idee zum Leben. Von Gunnar A. Pier

Foto: Gunnar A. Pier

Heike Clephas betreut Opfer von Gewalttaten, die vor Gericht aussagen sollen. Bei der Vorbereitung auf Verhandlungen hilft ihr auch ein Modell des Gerichtssaales.

Seit 20 Jahren beschäftigt sich die Diplom-Sozialarbeiterin mit einem verwandten Thema: Straffälligenhilfe. Sie betreut im Namen des Vereins „Chance e.V.“ vornehmlich Inhaftierte und deren Angehörige bei der sozialen und beruflichen Integration nach der Gefängniszeit. Heike Clephas hilft Tätern.

Foto: Gunnar A. Pier

Ausbildung zur Fachberaterin Opferhilfe und psychosoziale Prozessbegleitung
Jetzt wechselt sie, so scheint's, gelegentlich die Seite und steht Opfern zur Seite. Für sie kein Widerspruch: „Ich stehe nach wie vor hinter der Arbeit mit den Tätern“, sagt sie entschieden. „Aber ich finde es ganz passend, auch die Opfer in den Blick zu nehmen.“ Deshalb absolvierte die Münsteranerin schon 2015 an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin eine Ausbildung zur Fachberaterin Opferhilfe und psychosoziale Prozessbegleitung. Heike Clephas betreut Opfer von Gewalttaten, die vor Gericht aussagen sollen.

Alle bis 18 Jahre haben generell Anspruch auf eine Prozessbegleitung
Damit war sie ihrer Zeit ein Stück voraus: Seit Jahresbeginn 2017 ist die Begleitung für Menschen, die Opfer von Gewalt oder Sexualtaten geworden sind, gesetzlich geregelt. Alle bis 18 Jahre haben generell Anspruch darauf, ebenso Erwachsene mit „besonderer Schutzwürdigkeit“, die beispielsweise bei einer Behinderung vorliegt und einer Traumatisierung. „Fast immer“, sagt Clephas. Zehn Experten kümmern sich alleine im Bezirk des Landgerichts Münster darum.

„Überlegen Sie mal, wie schwer das ist, zur Tat auszusagen!“
Die Opfer haben meistens Schlimmes erlebt. Bei der Aufarbeitung hilft die Prozessbegleitung. Wenn die Menschen es wünschen, geht Heike Clephas mit zur Polizei, zum Arzt, in den Gerichtssaal. „Überlegen Sie mal, wie schwer das ist, zur Tat auszusagen!“, verdeutlicht die Sozialarbeiterin. Schließlich sitzt der Täter mit im Raum, oft auch die halbe Nachbarschaft oder ganze Schulklassen im Zuschauerbereich.

Die größte Angst: Dem Täter zu begegnen
„Die größte Angst haben die Zeugen meistens davor, dem Täter zu begegnen“, hat Heike Clephas erfahren. „Dann kommt alles noch mal hoch.“ Nicht selten ist es der eigene Lebenspartner, der zugeschlagen oder vergewaltigt hat. Wenn Menschen in einer solchen Situation vor Gericht aussagen sollen, ist guter Beistand nötig.

„Wir sind ein neuer Player im Strafverfahren“
Dabei darf die Prozessbegleiterin nicht mit den Betroffenen über die Tat reden. „Die Begleitung muss neu­tral sein“, erklärt sie. Die juristische Aufarbeitung bleibt bei den Anwälten und Gerichten. „Wir sind ein neuer Player im Strafverfahren“, zitiert Clephas eine flotte Beschreibung der Situation. Diese Institution sei für alle Verfahrensbeteiligten neu und ungewohnt.

Prozessbegleitung noch nicht bekannt genug
Das ist vielleicht ein Grund dafür, dass das Angebot nach Ansicht von Heike Clephas noch zu selten angenommen wird. Sie selbst war bislang erst einmal vom Richter beigeordnet, ein zweiter Fall steht bevor. „Es ist noch nicht bekannt genug.“ Dabei ist die Prozessbegleitung für die Betroffenen kostenlos.

Ihr erster Einsatz jedenfalls habe sie vom Nutzen überzeugt. „Ich habe in der Gerichtsverhandlung anderthalb Stunden neben der Zeugin gesessen“, erinnert sich Heike Clephas. „Das hat ihr gutgetan.“

(WN Online Dienstag, 18.04.2017)

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